Freitag, 2. November 2012

Die Wand (No Brick in the Wall)


Das Unbekannte treibt uns um, sei es aus Angst, sei es aus Neugier. Unbekannt, gar unerklärlich ist die nicht sichtbare Barriere, welche über Nacht eine Frau (Martina Gedeck) in einem abgeschiedenen Alpental eingesperrt hat. Über diese Wand kann sie wenig herausfinden, aber dass sie der einzige Mensch innerhalb der völlig undurchdringlichen Mauern zu sein scheint, ist bald nicht mehr zu leugnen. Sie lässt ab von der Erkundung der Grenzen ihres Gefängnisses, gibt sich der Ungewissheit hin - aus den Augen, aus dem Sinn - und flieht vor ihren Gedanken in harte körperliche Arbeit. Doch auf Dauer können ihre wenigen Tiergefährten und das mühselige Tagewerk sie nicht von ihrem Inneren ablenken...

Ihre Gedanken vernimmt der Zuschauer früh, denn die Verfilmung von Marlen Haushofers gleichnamigem und mir unbekanntem Roman fußt auf ausführlichen Schilderungen und Monologen der Frau als zurückblickende Tagebuchschreiberin. Sie muss schreiben, denn sie könnte zwar reden, aber keiner hört sie. Leider ist das Voice-over stets präsent, beschreibt zu Beginn häufig und überflüssig das aktuell gezeigte Geschehen und entfernt sich langsam von den Bildern, bis diese teils als bloße Illustrationen des Erzählten wirken und der eigentliche Filmton gar verstummt.

Das Gesagte - meines Wissens direkt aus dem Buch übernommen - ist dabei von formaler Schlichtheit als auch inhaltlicher Wirkmächtigkeit. Die Frau nähert sich in der Abgeschiedenheit ihrem Seelenleben und dem des Menschen an sich in beinahe naturphilosophischer Meditation (manch ausgeprochene Erkenntnisse geraten zu gewollt und kitschig, andere überaus anregend). Martina Gedeck mit nuanciertem Spiel intoniert ihren Text stets gefasst, aber das Zerbrechen schimmert durch.

Doch den emotionalen Schock, den Zusammenbruch erleidet sie nie offen - Die Wand verweigert sich der audiovisuellen Gefühlsdarstellung in einer Extremsituation, dreht im Zweifel noch den Ton ab. Stumme Schreie, denn die Frau wird von niemandem vernommen. Trotzdem irritiert diese zumindest oberflächliche Selbstbeherrschung der einzigen Protagonistin, zumal sie als Großstädterin unglaubwürdig wenig Probleme hat, sich auf das einsame Landleben von der Hand in den Mund einzustellen.

Angesichts ihrer Herkunft könnte man eingangs auch einen stärkeren Forscherdrang bezüglich der Wand annehmen, selbst wenn keine fortwährenden Fluchtversuche erwartet werden. Ist die frühzeitige Akzeptanz ihrer Gefangenschaft Zeichen der Resignation oder braucht sie diese Kraft, um zu überleben? Und ist ihr Leben wirklich eines oder nur eine reine Existenz (vor der sie sich fürchtet, wie sie einmal bei der Betrachtung von Mensch und Tier ausführt)?

Die Wand entfaltet mit Martina Gedeck vor dem faszinierenden bis bedrückenden Bergpanorama eine nicht zu leugnende Sogwirkung und scheitert doch als Film, als "motion picture". Keinesfalls sind die Bewegtbilder unwichtig, aber wirken durch die Lein-Wand oft abgeschottet vom Mittelpunkt des Films, der allgegenwärtigen Erzählerin. Dass das Geschehen dramaturgisch eher gemächlich und wenig überraschend gerät, hilft nicht, falls man zum bäuerlichen Dasein der Frau keine besondere Bindung aufbauen kann oder aus formalen Gründen auf Distanz gehalten wird. Beeindruckend ist Die Wand jedoch stets.

DIE WAND von Julian Roman Pölsler (R, B), Deutschland/Österreich 2012, IMDb, RT, FZ. Bildrechte: © StudioCanal

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