Dienstag, 22. Januar 2013

Django Unchained [Doppelkritik]

Ein neues Werk von Quentin Tarantino ist immer ein Ereignis und perfekt für unsere Rückkehr aus der Winterpause - ob der Film den beiden ZFX-Schreibern dieses Mal gleichermaßen zugesagt hat?

I. "His Name is King" von Tobberich


Der Plot von Django Unchained, dem aktuellen Werk von Kultregisseur Quentin Tarantino, ist denkbar simpel: Der Sklave Django (Jamie Foxx), im damaligen Jargon ein "Nigger", wird von dem aus Deutschland stammenden Kopfgeldjäger Dr. King Schultz (Christoph Waltz) aus den Händen von Sklavenhändlern befreit, weil der seine Hilfe benötigt. Im Gegenzug macht er Django ein Angebot: Sobald dieser ihm geholfen hat, eine Bande gesuchter Verbrecher zu identifizieren, will er ihm die Freiheit schenken. Schultz nimmt Django unter seine Obhut, bildet ihn im Gebrauch von Waffen aus und alsbald kann Django als freier Mann mit Hilfe von Schultz eigene Ziele verfolgen: Seine Frau Broomhilda von Shaft (Kerry Washington) irgendwo im Süden ausfindig machen, sie befreien und mit ihr zusammen in den Sonnenaufgang des liberaleren Nordens reiten.

Bereits an den Namen der Hauptfiguren wird deutlich, dass sich Tarantino wieder tief in der Mythologie der modernen Pop- und Kinokultur bedient hat. Der Name der Titelfigur referiert auf den gleichnamigen Spaghetti-Western von 1966, während Broomhildas Nachname auf eben jenen Shaft von 1971 verweist. Dass Broomhilda vom deutschen Vornamen Brunhilde abgeleitet und somit von Wagners Nibelungen-Saga inspiriert wurde, sei nur am Rande erwähnt.

Die Story teilt sich gefühlt in drei Teile, die sich nicht nur inhaltlich, sondern auch qualitativ voneinander unterscheiden: Die Befreiung Djangos und dessen Ausbildung zum Killer bilden den ersten. Hier ist es vor allem der gebürtige Österreicher Christoph Waltz, der die pointierten Dialoge aus der Feder von Quentin Tarantino mit großem Können trägt und als kongeniales Sprachrohr der Zeilen des Autors fungiert. Man fragt sich als Zuschauer deshalb zu Beginn, wer hier die Hauptrolle spielt: Dder titelgebende Sklave oder der Düsseldorfer Dr. King Schultz, denn zu dominant ist der Redeanteil von Waltz. Django hat eher unbedeutende Anteile und tritt passiv auf - das spiegelt auch das Schüler-Lehrer-Verhältnis, welches zwischen beiden anfangs noch besteht.

Im zweiten Teil machen sich die beiden Revolverhelden auf, um die schöne Broomhilda aus der Sklaverei von Calvin Candie (Leonardo DiCaprio) zu befreien. Hier beginnt die Figur Djangos wichtiger für die Fortentwicklung der Geschichte zu werden, sie emanzipiert sich zusehends von Schultz, beide Figuren agieren jetzt auf Augenhöhe - man könnte an dieser Stelle von einem klassischen Buddy-Movie sprechen. Es ist trotzdem die insgesamt schwächsten Phase des Filmes, die zu einem Großteil auf der Plantage des Sklavenhalters spielt. Der Story fehlt der notwendige Drive, die Dramaturgie wirkt streckenweise ziellos – hier hätte Tarantino etwas stringenter arbeiten und seinen über 160 Minuten langen Film an der ein oder anderen Stelle kürzen können. Im letzten Part, auf der Zielgeraden sozusagen, gewinnt der Plot wieder an Fahrt und hat einige gelungene Szenen zu bieten.

Über den ganzen Film hinweg ist die inhaltliche Nähe zu anderen Werken von Tarantino auffällig, vor allem zu Kill Bill. Beide Werke Tarantinos setzen auf dasselbe Grundschema: Gefallene Figur findet ins Leben zurück und macht sich gestärkt auf in die Vendetta gegen alten Feinde, inklusive des obligatorischen, wenig dezenten Gemetzels am Ende. Hier hätte Tarantino einen ambitionierteren Ansatz verfolgen können. Auch das Thema Rassenhass hat er zuletzt in Inglourious Bastards bereits aufgegriffen.

Neben den ausgezeichneten Dialogen sind es der Cast und der Soundtrack, die Django Unchained zu einem unterhaltsamen Film werden lassen. Man kann sich kaum vorstellen, dass eigentlich Will Smith für die Rolle des Django vorgesehen war. Die Wandlung vom schüchternen, gedemütigten Sklaven zum selbstbewussten, aus seinen Ketten befreiten Revolverhelden gelingt Jamie Foxx überzeugend. Einziger Kritikpunkt: Die Entwicklung vollzieht sich sehr schnell, hier hätte der Charakter im Drehbuch weiter ausgearbeitet werden können. Neben Christoph Waltz, der seine Rolle nonchalant mit sublimen Witz spielt, sind vor allem Leonardo DiCaprio als widerwärtiger, maliziöser Plantagenbesitzer und Samuel L. Jackson als klappriger und hinterhältiger Haussklave/Butler Stephen positiv aufgefallen.

Tarantino hat mit Django Unchainend einen ordentlichen Ausflug in das Western-Genre hingelegt und wurde inzwischen auch für den Oscar in der Rubrik "Bester Film" nominiert. Einer starken Besetzung, gelungenen Pointen sowie einem treibendem Soundtrack stehen jedoch Schwächen im Drehbuch gegenüber. Außerdem bietet auch der bisher längste Film des Regisseurs die immer gleichen Angriffspunkte für seine Kritiker: die Vorliebe für ausschweifende Dialoge und brutale Gewaltszenen. Dem Stammpublikum wird das wenig ausmachen.

II. "Der Arzt, dem die Sklaven vertrauen" von HomiSite


Dreck und Matsch und Verfall und Farbarmut - Sergio Corbucci schuf 1966 in Django eine Western-Vorhölle, aus der niemand unbeschadet entkam. Quentin Tarantino präsentiert in Django Unchained stattdessen das weite Land, die verschneiten Berge und schließlich den malerischen Süden der USA. Doch die Abgründe lauern hinter der schönen Fassade weißer Häuser und feiner Herrschaften, auf den unmenschlichen Sklavenplantagen der Großgrundbesitzer. Dort wurde der Grundstein gelegt für das, was Django (Jamie Foxx) sein wird. Zu Filmbeginn trottet er noch verschüchtert und angekettet in einem Gefangenentross dahin, bis ihn Dr. King Schultz (Christoph Waltz) befreit. Dieser wunderliche Zahnarzt aus Deutschland verdingt sich mittlerweile als Kopfgeldjäger - kein großer Schritt, mögen manche Patienten einwerfen. Schultz braucht Django, um ein paar gesuchte Verbrecher zu identifizieren, und weil der frisch befreite Sklave dabei viel Eigeninitiative zeigt, setzen die beiden ihre Zusammenarbeit fort. Und nach dem Winter wollen sie Djangos Ehefrau (Kerry Washington) aus der Sklaverei Calvin Candies (Leonardo DiCaprio) befreien...

Quentin Tarantinos 165 Minuten langer Western kann - wie auch von Tobberich geschildert - als aus drei Teilen bestehend betrachtet werden: Eingangs die Kopfgeldjägerzeit von Schultz und Django, in der die Charaktere eingeführt werden. Schultz ist ein redegewandter, geradezu quasselnder Gentleman, der Sklaverei und Verbrechen, doch nicht das schnelle Töten ablehnt. Christoph Waltz fegt durch den Film und drängt Andere oft zur Seite, in gewisser Weise lässt er aber bloß seinen Hans Landa aus Inglourious Basterds neu aufleben - dieses Mal als guter Deutscher. Seine Selbstsynchronisation ist bisweilen derart entfesselt, dass es ins Unglaubwürdige kippt, bleibt trotzdem stets unterhaltsam. Jamie Foxx als schwarzer Django wandelt sich unter Anleitung des Doktors schnell vom scheuen Untergebenen zum harten Cowboy, Schultz ebenbürtig. Die anderen bedeutenden Rollen - Candie und dessen "Hausneger" Stephen - werden von DiCaprio und Samuel L. Jackson mit Verve und auch Overacting gespielt. Ihre Auftritte markieren den zweiten Teil des Films, die direkte Konfrontation mit der Sklaverei und dem Alltag auf der Plantage und schließlich mit den Herren dort.

Bis dahin hält Tarantino die Erzählung stets im Griff, trotz mancher nicht zwingend nötiger Rückblenden oder dialoglastiger Nebenszenen. Doch da ein Held erst wahrlich triumphieren kann, wenn er nach vermeintlichem Sieg tief gefallen ist, gibt es noch einen Schlussteil, der leider nicht allzu geschmeidig dahingleitet. Dies scheint auch Tarantino aufgefallen zu sein, der das tatsächliche Finale dann überraschend kurz hält. Die öfters vernommene Kritik von überflüssigen und selbstzweckhaften Abschnitten und einem insgesamt zu langen und zähen Film ist übertrieben, nichtsdestotrotz darf sich Tarantino zukünftig gerne einer etwas stringenteren Erzählweise bedienen. Und vielleicht sollte er den Inhalt seiner Filme variieren: Rache ist das Leitmotiv vieler seiner Werke und Django Unchained wirkt in direkter Folge auf Inglourious Basterds strukturell sehr ähnlich.

Natürlich bleibt Tarantino neben diversen filmischen und inhaltlichen Zitaten seiner ausgeprägten Soundtrackgestaltung treu, die wiederum sehr gefällig, wenn auch nicht seine innovativste ist. Gegen Ende bringt Tarantino fast zu viele Lieder unter, was in harten Wechseln mündet. Auf visueller Ebene ist der einfallsreiche Regisseur für seine nicht zurückhaltende Gewaltdarstellung bekannt und Django Unchained könnte sein blutigstes Werk sein: Jede Schusswunde führt zu Blutfontänen, die eher splattriger Spaß statt unangenehmem sind. Die zentrale Schießerei, die glücklicherweise von den Trailern nicht vorweggenommen wurde, dürfte neue Western-Maßstäbe im Blutvergießen setzen und ist so famos wie packend inszeniert. Als Kontrapunkt setzt Tarantino immer wieder erschütternde Momente, in denen die grafische Gewalt beinahe vollkommen abwesend, die Wirkung aber gerade dadurch größer ist.

Schlussendlich ist Django Unchained trotz aller Brutalität ein überwiegend heiterer und unverfänglicher Film, der gleichwohl plakativ Kritik an der Sklaverei und damit amerikanischen Vergangenheit übt. Auch die Gewaltbereitschaft der Gesellschaft wird thematisiert, doch droht all dies in den rhetorischen als auch blutigen Unterhaltungsszenen unterzugehen (vielleicht ist genau dies Absicht). So oder so streicht Tarantino die Herrenhäuser mit dem Blut ihrer Besitzer und erinnert an den vergossene Lebenssaft der Sklaven, mit dem der Wohlstand des weißen Mannes errichtet wurde. Mit den Südstaaten vor dem Bürgerkrieg suchte sich Quentin Tarantino eine im Western selten behandelte Nische, die Genre-Revolution oder einen klassischen Italowestern hat er jedoch nicht gedreht. Da dürfte Keoma das Maß aller Dinge bleiben, mit dem originalen Django Franco Nero - natürlich in einer Nebenrolle in Tarantinos gelungener Neuinterpretation.

DJANGO UNCHAINED von Quentin Tarantino (R, B), USA 2012, IMDb, RT, FZ. Bildrechte: © Sony Pictures

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